Keine Rose für dich?
Aktualisiert: 15. Feb. 2021
Der Valentinstag. Ein Tag, an dem Paare ihre Liebe feiern. Und, will man dem Internet glauben, die Singles dieser Welt sich kollektiv in die Depression oder den nächstbesten Fluss stürzen. Doch: Stimmt das tatsächlich? Oder ist das nur ein Vorurteil derer, die sich ein ausgefülltes und glückliches Leben außerhalb ihrer eigenen Lebensform nicht vorstellen möchten?
Viele meiner Klient*innen sind nicht liiert und fühlen sich wohl damit, solange ihnen niemand das Gegenteil erklärt. Denn bekanntlich ist Liebe mehr als Romantik und eine Leidenschaft für sich selbst das stabilste Fundament für Glück. Was mich zu der Frage führt: Wie stehen wir als Gesellschaft zu den sogenannten Alleinstehenden?
- Über die Kunst, sich selbst zu genügen, warum Singelshaming für unsere Kultur beschämend ist und wie wir aufhören können, die Liebe klein zu machen

Wir schreiben das Jahr 2021: Das dritte Geschlecht (m/w/d) ist gesetzlich verankert, ebenso die Ehe für alle. Wir sehen überall kunterbuntes Familienpatchwork und wen das Experiment mit Polyamorie oder offenen Beziehungsvariationen noch schockiert, gilt schon fast als bieder. Die Postmoderne und ihr Zeitgeist der Toleranz erlauben in der Liebe inzwischen deutlich mehr Konstellationen als zur Zeit unserer Großeltern. Nur eine Art der Paarbeziehung ist offenbar noch immer ein öffentliches Ärgernis: Keine zu haben.
Ungebunden = ungeliebt?
Ich erinnere mich an einen Arztwechsel vor einigen Jahren. Ich war damals Anfang Dreißig und single. Im Erstgespräch bekam ich die Frage gestellt: "Sind Sie verheiratet oder allein?"
Der Arzt, ein Familienvater Mitte Vierzig, ging offensichtlich davon aus, dass eine Frau in meinem Alter verheiratet ist. Wohlgemerkt: Nicht einfach nur liiert, sondern verheiratet.
Die einzige Alternative dazu: Einsamkeit. Denn genau das suggeriert "Alleinsein". Ist, wer ohne feste*n Partner*in lebt, automatisch bemitleidenswert?
Ich war etwas perplex ob seiner beiden Vorschläge und antwortete:
"Ich bin single, wenn Sie das meinen. Aber nicht alleine."
Das hat ihn wiederum völlig irritiert und zu der Anschlussfrage gebracht, ob ich denn nun abends alleine ins Bett ginge oder nicht. Ich fand das unsensibel, übergriffig, respektlos und vor allem: Ich fühlte mich beschämt, ohne zu wissen, wie ich dazu kam.
Damals wusste ich es noch nicht, aber das Gefühl, das er mir vermittelt hat, hat einen Namen: Es nennt sich Singleshaming. Und: Es ist ein weibliches Phänomen.
Singeshaming - Was stimmt nicht mit dir?
Singleshaming bedeutet nicht etwa, sich selbst dafür schämt, single zu sein, sondern dass man von anderen deswegen kritisiert wird, weil man nicht in einer Paarbeziehung lebt. Und es ist tatsächlich weiter verbreitet, als unsere aufgeschlossene Gesellschaft es vermuten lässt. Ich höre davon sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld, bei jungen Studentinnen genauso wie Freundinnen meines Alters oder älteren Kolleginnen.
"Wie kann eine Frau wie du denn single sein?", "Du bist doch eine tolle Frau" oder "Der kommt schon noch!" scheinen hier die Klassiker zu sein, mit denen das Umfeld Ihre Lebensform kommentiert.
Auch wenn das oft nett gemeint ist, implizieren Bemerkungen dieser Art doch eines: Wer single ist, dem fehlt etwas. Platon und seine beiden Halbkugeln. Ohne Partner*in ist man nicht vollständig. Wenn alles mit rechten Dingen zu geht, dann hat man doch jemanden. Wenn nicht, dann kann da was nicht stimmen. Also gibt es da ein Defizit. Oder man hat zu hohe Ansprüche, dann "passt dir wohl der Zehnte nicht".
Das hinterlässt Spuren. Frauen erzählen mir im Coaching (und nicht nur dort), dass diese Suggestionen von außen sie verunsichern. Sie nagen an ihrem Selbstwertgefühl und bringen sie zum Nachdenken, was mit ihnen denn nicht stimmt.