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Verschwörst du noch oder meditierst du schon?

Aktualisiert: 18. Dez. 2020

Wir haben es nicht leicht momentan.

Die Nachbeben der Pandemie sind spürbar und es lässt sich nicht abschätzen, was da noch kommen wird. Menschen haben ihre Jobs verloren, es knackt und rumpelt im System. Eltern und Lehrer*innen sind erschöpft, manche Wirtschaftssparten liegen am Boden. Der Blick in andere Länder ist nicht urlaubsschwanger, sondern mitfühlend oder ängstlich. Über die Hälfte von uns wird diesen Sommer zuhause verbringen. Und über all dem das Damoklesschwert der "Zweiten Welle", die nach Expert*innen unausweichlich kommen wird.



 

Der Alltag ist beschwerlicher geworden, mit dem Tragen der Masken über das Abschätzen des Abstands beim Einkaufen oder am Gehsteig. Automatismen wie der Reflex, uns zur Begrüßung die Hand zu geben, brauchen die ständige Erinnerung, es nicht zu tun. Wir sind unsicher, wie wir uns im täglichen Kontakt verhalten sollen, wie nah man sich kommen will, was übertrieben ist und was fahrlässig. Berichte wie jener in Niedersachsen, wo sich gleich nach der Wiedereröffnung mehrere Menschen in einem Lokal infizierten und nun an die fünfzig Personen in Quarantäne sind, lassen uns vorsichtig bleiben. Und dann wissen wir immer noch so wenig über diese Krankheit, um sie für uns greifbar zu machen.

Wer starb nun mit und wer an COVID-19? Wer gehört wirklich zur Risikogruppe? Was ist mit den Kindern?

Wenn uns diese Zeit eines lehrt, dann, dass im Außen wenig sicher ist.



Wissenschaft, die Wissen schafft?


"Ich kann nicht verstehen, warum diese Experten nicht zu einer Meinung kommen. Das sind doch Wissenschaftler, oder?", wurde ich letztens leicht ungehalten gefragt. "Warum hat man bei 10 Virolog*innen gefühlt 12 Meinungen?" Weil auch Wissenschaft zu einem Teil Interpretation ist, versuchte ich zu erklären. Du kannst die Bibel lesen und Inquisitor werden - oder Franziskaner, je nachdem. Je geringer die Faktenlage und umso weniger valide Daten, desto mehr Raum bleibt offen für Interpretation. Wir sind es nur nicht gewohnt, keine klaren Fakten zu bekommen. Das macht uns unruhig, es bereitet uns Sorgen. Wenn wir uns auf nichts verlassen können, wem sollen wir denn dann glauben? Wer keinen Fakten trauen kann, verlässt sich auf sein Gefühl.



Colts or condoms?


Wenn dieses Gefühl allerdings vor allem Angst ist, dann führt die explosive Gemengelage aus Ängsten, Unsicherheit und Bedrohung zu einem Phänomen, das in Krisen schon immer auftrat und ein Menschlich-Allzumenschliches ist: Den Verschwörungstheorien. Laut der Verschwörungsszene, die wieder massiven Zulauf hat, ist alles, was rund um Corona passiert, geschickt geplant und eingefädelt. Schlagworte sind Korruption, Geschäftemacherei, Zerstörung der Menschheit, Impfterrorismus und Implantate, Abschaffung der Demokratie, totale Überwachung und anderes. Wer dahinter steckt, bleibt optional: Von der diktatorischen Kontrolle einiger Superreichen bis zu ganzen Ländern, die sich dadurch machtpolitisch neu positionieren möchten. Manche glauben, dass es das Virus gar nicht gebe, es kaum gefährlich sei und von der Politik ausgenutzt werde. Oder von dunklen Mächten kreiert zum Schaden der Weltbevölkerung. Das hat natürlich Konsequenzen auf das Sozialverhalten: Jene, die glauben, das Virus gebe es gar nicht oder werde übertrieben dargestellt, tragen auch weniger Masken. Diejenigen, die an eine Art Biowaffe glauben, stürzen sich auf persönliche Vorbereitung wie Hamsterkäufe, viel Bargeld abheben, Wein und Verhütungsmittel besorgen (der französische Weg) oder Waffen (the American style).

Sehr oft geht diese Ideologie mit Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus einher, dem klar zu widersprechen ist. Laut dem Psychoanalytiker und Sozialpsychologen Wilhelm Reich massenpsychologische Phänomene, zumeist aus einer Opferhaltung heraus, denen wir uns zu stellen haben.


Wichtig: Wenn ich von Verschwörungstheorien spreche, meine ich nicht abweichende Meinungen vom Mainstream, kritische Betrachtungen der Berichterstattung oder das Hinterfragen politischer Handlungsmaximen. Dies ist ausdrücklich erwünscht im Sinne von Demokratie und Meinungsvielfalt.